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Ursula Kroeber Le Guin

Ursula K LeGuin

Ursula K. Le Guin, 2008
Fotonachweis:
By Gorthian
[CC BY-SA 3.0  /https://creativecommons.org/licenses/
by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons
 

Ursula Kroeber Le Guin, geboren am 21.10.1929 in Berkeley, Kalifornien als Ursula Kroeber, war die Tochter der Schriftstellerin und Anthropologin Theodora Kroeber und des Professors für Anthropologie Alfred Louis Kroeber. Die Großeltern waren deutschstämmig.
Während der Schulzeit wohnte die Familie in der Nähe des Campus der University of California in Berkeley, wo Kroeber die Berkeley High School besuchte. In den Sommermonaten aber wohnte man in Kishamish, einem Besitz der Familie im Napa Valley.

Sie begann schon früh zu schreiben. In einem ihrer wenigen autobiographischen Essays beschreibt sie den Eindruck, den Lord Dunsanys A Dreamer’s Tale als kindliche Leserin auf sie machte, wie sie mit acht Jahren ihre erste Geschichte schrieb von einem Mann, der von übelwollenden Elfen verfolgt wird, und, wie sie mit 11 Jahren eine erste Zeitreisegeschichte an Amazing Stories sandte, die abgelehnt wurde.
Sie las viel, es gab ein Haus voller Bücher und eine gute öffentliche Bibliothek, Science-Fiction las sie aber für lange Zeit nicht mehr – denn es war die goldene Zeit der Space Operas, voller Geschichten von Raumschiffkapi-tänen mit kantigen Gesichtern und seltsamen Waffen. Sie wandte sich Tolkien zu.
 

Erst 1960 oder 1961 las sie auf Anregung eines Freundes eine Erzählung von Cordwainer Smith, die sie davon überzeugte, dass es Science-Fiction von Interesse gibt und dass man dergleichen auch schreiben könnte. Zunächst kamen aber Schule und Studium.

Nach der High School ging sie an die Ostküste und studierte Literatur am Radcliffe College in Cambridge, wo sie 1951 den Bachelor machte und mit einer Mitgliedschaft bei Phi Beta Kappa ausgezeichnet wurde. Anschließend setzte sie ihre Studien der italienischen und französischen Renaissance an der Columbia University in New York fort, wo sie Faculty Fellow war und mit einer Arbeit über Pierre de Ronsard 1952 mit dem Master abschloss. Den Hintergrund der mediterranen Renaissance-Welt verwendete sie später in ihren Geschichten aus Orsinien und in Malafrena. Mehrere Fulbright-Stipendien erlaubten ihr Forschungsaufent-halte in Paris (1953–1954) und London (1968–69 und 1975–76). In Frankreich lernte sie 1953 ihren späteren Ehemann kennen, den Professor für Geschichte Charles A. Le Guin. Im Dezember 1953 heirateten Kroeber und Le Guin. Mit ihrem Mann hatte sie zwei Töchter (geb. 1957 und 1959) und einen Sohn (geb. 1964).

Sie unterrichtete in den folgenden Jahren Französisch an der Mercer University in Macon, Georgia, und an der University of Idaho in Moscow. 1955 war sie Department Secretary (stellvertretender Fachbereichsleiter) an der Emory University in Atlanta. Die Familie ließ sich schließlich 1958 an der Westküste in Portland, Oregon nieder, wo ihr Mann an der Portland State University unterrichtete. In den Sommermonaten verbrachten sie aber immer wieder Zeit im Napa Valley.

Im September 1962 erschien eine erste Erzählung, April in Paris, in dem SF-Magazin Fantastic Stories of Imagination. Seither lebte sie als Schriftstellerin.
Ihr erster Roman, Rocannon’s World , erschien 1966.
Die folgenden Jahre bis 1974 waren die schriftstellerisch produktivsten, in denen die meisten der bekanntesten Werke, vor allem der Großteil der Romane aus den Hainish- und Erdsee-Zyklen erschienen. Bald schon folgte auch Anerkennung, sie gewann Preise, ihre Bücher wurden enthusiastisch besprochen und ihre Kurzgeschichten fanden den Weg in wichtige Anthologien.

Neben ihren belletristischen Werken verfasste sie eine Reihe von literaturkritischen und theoretischen Arbeiten und war immer wieder Dozentin in Lehrveranstaltungen und Workshops für kreatives Schreiben, unter anderem an der Pacific University, Forest Grove, Oregon (1971), University of Washington, Seattle (1971–1973), Portland State University, Oregon (1974, 1977, 1979), in Melbourne, Australien (1975), an der University of Reading in England (1976), der Indiana Writers Conference in Bloomington (1978, 1983), an der University of California in San Diego (1979) und über viele Jahre hin an der Portland State University.

Sie starb am 22.01.2018 im Alter von 88 Jahren in ihrem Heim in Portland. Mit ihr hat die Buchwelt eine großartige Autorin, die stets die souveräne, freie Fantasie verteidigt und die Verantwortung der SchriftstellerInnen in schwierigen Zeiten angemahnt hat, verloren. Sie hat den Feminismus und das ökologische Denken in die Science-Fiction- und Fantasyliteratur gebracht und wie keine andere daran gearbeitet, den Graben zwischen „realistischer“ und „fantastischer“ Literatur zu überbrücken. Ihre Meisterwerke  und ihre Person werden unver-gessen bleiben.

Ursula K. Le Guin war eine der der größten Denkerinnen unserer Zeit, und ohne Zweifel die eine Autorin, die das gesamte Potenzial der phantastischen Literatur erstens in ihren fiktionalen Werken verwirklicht und zweitens in Reflexionen über die Phantastik wie keine andere erklärt hat. Sie spielte erfolgreich auf der Klaviatur beider Großgenres: Science Fiction und Fantasy. Und sie verfasste in dem einen wie dem anderen Bereich Meilensteine, an denen kein Mensch vorbeikommt, der sich mit der phantastischer Literatur und Kunst beschäftigt.

Der SciFi beispielsweise, dem Genre, dessen bessere Werke sich vor allem mit sozialen und politischen Themen befassen, schenkte sie mit Freie Geister eine wirkmächtige Kapitalis-muskritik; ein eigentlich zeitlos gültiges Werk, das aber mit seiner zentralen Metapher – der Mauer, die Reich und Arm trennt - seit Donald Trumps Plänen zur Abgrenzung der USA von Mexico wieder hochaktuell geworden ist. Mit Das Wort für Welt ist Wald brachte sie auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges eine antikolonialistisch-antimilitaristische Vision heraus, die zudem zu einem der zentralen Werke der damals gerade beginnenden ökolo-gischen Bewegung werden sollte.

In der Fantasy war sie nicht weniger wirkmächtig und einflußreich. Auch hier hat sie das zentrale Wesen eines Genres und dessen daraus resultierende Möglichkeiten präzise erfasst. Während die SF auf die Gesellschaft blickt, steht bei der Fantasy das Individuum im Mittelpunkt. Der Erdsee-Zyklus konzentriert sich genau darauf. Besonders die ersten drei Bücher untersuchen die wesentlichen Aspekte eines menschlichen Lebens – Aufwachsen, Liebe, Tod – in je einem Band auf das Genaueste, indem sie das Beste und das Schlimmste, was dem Individuum in diesen drei Hinsichten passieren kann, beschreiben.

Die meisten ‚Helden‘ Le Guins waren männliche Charaktere, doch zeichnen sie sich dadurch aus, dass ihnen alles Machohafte und vor allem patriarchalische Verhaltensweisen völlig abgehen, etwa in der Person des Magiers Ged, des Hauptprotagonisten von Erdsee. Dies ist einer der Gründe dafür, dass Le Guin auch zu einer der wichtigsten Vertreterinnen des Feminismus wurde. Eines Feminismus, der vor allem als Kritik sämtlicher Geschlechterstereo-type daherkommt, und uns in Die linke Hand der Dunkelheit, ihrem Durchbruch als Phantastikautorin aus dem Jahr 1969, eine glaubhafte Alternative vorstellt, die erahnen lässt, wie Menschen leben könnten, wenn sie den Geschlechterkonflikt wahrhaft überwunden haben.

Ursula Le Guin hat alle wichtigen Preise der Phantastik, darunter die beiden bedeutendsten internationalen Preise für Science-Fiction-Literatur, den Nebula Award und den Hugo Award, gewonnen, in der Regel mehrfach.
Die linke Hand der Dunkelheit und Planet der Habenichtse gewannen jeweils beide Preise, für Tehanu und Powers den Nebula Award und Das Wort für Welt ist Wald den Hugo Award. 1974 wurde Die Omelas den Rücken kehren mit dem Hugo für die beste Kurzgeschichte ausgezeichnet. 1985 erhielt Le Guin den Janet Heidinger Kafka Prize der University of Rochester. Zwischen 1972 und 2009 gewann sie außerdem insgesamt vier Locus Awards. 1988 und 2002 erhielt sie den World Fantasy Award. Für ihr Lebenswerk wurde sie 1979 mit den Gandalf Grand Master Award, 2003 mit dem Damon Knight Memorial Grand Master Award der Science Fiction and Fantasy Writers of America, 2004 mit dem Margaret A. Edwards Award der American Library Association bedacht und erhielt 2014 die Medal for Distinguished Contribution to American Letter der National Book Federation.
2001 wurde sie in die Science Fiction Hall of Fame aufgenommen. 2017 gewann sie den Hugo Award for the Best Related Work für Words Are My Matter: Writings About Life and Books, 2000–2016 und erhielt 2018 denselben Preis postum für No Time to Spare: Thinking About What Matters. Ebenfalls postum wurde ihr 2018 für die Sammlung The Hainish Novels and Stories der Locus Award zugedacht.

Doch sie war nicht nur eine der ganz Großen innerhalb der Phantastik, sondern auch eine der ganz großen Interpretinnen des Genres und höchstwahrscheinlich überhaupt einer der scharf- wie tiefsinnigsten Denker des vergangenen und dieses Jahrhunderts. In mehr als hundert Essays hat Le Guin sich mit ihrem Genre beschäftigt und dessen Möglichkeiten erklärt und wurde nie müde, es zu erklären. Sie war es, die wiederholt betonte, dass alle Phantastik, die die Kreativen erschaffen, doch nur Metaphern für unser reales Leben sind, die eingesetzt werden, um dem Publikum die Möglichkeiten, Gefahren und Absurditäten unserer Existenz aus frischen, unverbrauchten Blickwinkeln vor Augen zu führen.

Ihre großartige Stimme ist verstummt. So viel sie noch zu sagen gehabt hätte, das Wichtigste hat sie uns hinterlassen: Dass die Phantastik sich um das reale, das wahre menschliche Leben dreht, „wie es gelebt wird, wie es gelebt werden könnte, wie es gelebt werden sollte.“ Danke! Wir werden es nicht vergessen.

 

Bei MetaGIS Hörbuch erschien:

VERLORENE PARADIESE